Johannes Göderitz in der Zeit von 1936 bis 1944

Im Juni 2021 wurde der Vorstand der Johannes-Göderitz-Stiftung durch Prof. Ingrid Krau (München), Prof. Sophie Wolfrum (München) und Prof. Julian Wekel (Berlin) in Kenntnis gesetzt, dass Johannes Göderitz in der Zeit des Nationalsozialismus Funktionen, u.a. bei Albert Speer ab 1943, innehatte, die in seinem veröffentlichten Lebenslauf nicht benannt waren.

Aufgrund der angeführten Quellen würde sich insgesamt ein Bild ergeben, dass Johannes Göderitz in den Jahren nach 1933 (Entfernung aus dem Amt des Stadtbaurats als „Kulturbolschewist“ durch die Nationalsozialisten) eine große Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut entwickelt haben könnte.

Als Anlass gebende Quellen dafür sind das von der Akademie für Städtebau und Landesplanung in Auftrag gegebene Werk „Ordnung und Gestalt“, Geschichte und Theorie des Städtebaus im 20. Jahrhundert 1922 bis 1975 von Jörn Düwel und Niels Gutschow sowie der Sammelband von Werner Durth „Deutsche Architekten“ von 2001 und der Band 3 von Johann Friedrich Geist und Klaus Kürvers „Das Berliner Mietshaus“ von 1989 sowie Ingrid Krau „Städtebau als Prozess“ von 2010 benannt.

Die Unterzeichnenden des Schreibens, Julian Wekel, Sophie Wolfrum und Ingrid Krau, sind der Auffassung, dass damit auch ein Bild vom Namensgeber Johannes Göderitz vermittelt werden sollte, das neben allen anerkannten Lebensleistungen und Verdiensten als Architekt, Stadtbaurat und Hochschullehrer auch seine Funktionen und seine geistige Mitverantwortung in der Zeit des Nationalsozialismus einschließen sollte.

Die Studierenden als Teilnehmende am Johannes-Göderitz-Wettbewerb sollten sich aufgrund dieser Informationen zu Johannes Göderitz künftig selbst ein Bild vom Namensgeber der Stiftung machen können.

Für die Mitgliedern des Vorstandes der Johannes-Göderitz-Stiftung waren die beschriebenen Hinweise zu Johannes Göderitz neu und überraschend. Für die Stiftung insgesamt wurde beschlossen, die beschriebenen zusätzlichen Erkenntnisse zur Biografie von Göderitz umfassend und öffentlich transparent aufzuarbeiten. Auch mit dem Wissen, dass das Ergebnis voraussichtlich großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der Stiftung haben könnte.

In der Folge begann eine Suche nach Personen, die in der Lage und befähigt sind, objektive Gutachten zu Aktivitäten und Funktionen von Johannes Göderitz in der Zeit des Nationalsozialismus verfassen zu können. Frau Wolf (Leiterin des Universitätsarchiv der TU) und Herr Erlewein (Leitung Geschäftsbereich 1 Personal, Recht und Studium der TU) zeigten einen Weg auf, wie eine Aufarbeitung besonders der Jahre 1934 – 1945 im Lebenslauf von Johannes Göderitz durch die TU -Braunschweig selbst gelingen könnte. Daraufhin übernahm Frau Wolf die Ausarbeitung des Gutachtens. Außer der Recherche im Universitätsarchiv erschloss sie in der Folge noch weitergehende Quellen (s. Ordnung und Kontinuität? Johannes Göderitz (1888-1978), Architekt, Stadtbaurat, Honorarprofessor, von Tanja Wolf).

Diese Schrift ist außerordentlich umfassend und tiefgehend recherchiert ausgearbeitet. Frau Wolf erläuterte dem Vorstand der Stiftung regelmäßig Rechercheergebnisse und Zwischenstände. Im April 2023 waren eine Kurz- und Langfassung fertiggestellt. Zusammenfassend lässt sich in ihrem Fazit herauslesen, dass Johannes Göderitz kein Profiteur des NS- Systems war oder etwa eine Nähe zum System gesucht hätte.

Die Rechercheergebnisse sollten nunmehr außerhalb des Kontextes der TU Braunschweig unabhängig bewertet werden. Dr. Henning Steinführer, Stadtarchiv Braunschweig und Vorsitzender der Historischen Kommission für Niedersachen und Bremen empfahl Prof. Dr. Großbölting (Universität Hamburg – Professor für Zeitgeschichte) für diese Aufgabe.

Dankenswerterweise sagte Herr Großbölting zu und verwies auf Erfahrung in der Anfertigung vergleichbarer Schriftstücke wie beispielsweise sein Gutachten zu Fritz Höger.

Im Frühjahr 2024 war diese zweite, externe Ausarbeitung fertiggestellt. Auch dieses Gutachten arbeitet hervorragend mit der Quellenlage und vertieft die Fragestellung „Wie stand der Städteplaner, Architekt und Hochschullehrer zum Nationalsozialismus?“ (s. Gutachten dazu von Thomas Großbölting).

Parallel zu der Ausarbeitung der Gutachten gab es in den letzten drei Jahren immer wieder Überlegungen, wie sich die Stiftung verhalten sollte, falls sich eine deutliche Nähe von Johannes Göderitz zu dem Nationalsozialismus herausstellen sollte. Prof. Dr. Großbölting beschreibt diese Art einer gesuchten Nähe in seinem Gutachten mit der Begrifflichkeit „dem Führer entgegenarbeiteten“.

Sowohl in internen Diskussionen im Vorstand als auch in gemeinsamen Gesprächen mit Tanja Wolf und Thomas Großbölting stand eine mögliche Umbenennung und Modifikation der Stiftungsziele im Raum.

In einer letzten Vorstandssitzung im Sommer 2024 wurde sich abschließend dazu beraten. Die Gutachter*in waren der Auffassung, dass es für eine Umbenennung der Stiftung angesichts ihrer Ergebnisse keinen Grund gebe. In der sich anschließenden Beratung beschlossen die Vorstandsmitglieder einstimmig, dass die Namensgebung „Johannes-Göderitz-Stiftung“ sowie die Zielsetzung der Förderung von Studierenden des Städtebaus beibehalten werden soll.

Zu dieser Entscheidung trugen im Wesentlichen die Ergebnisse aus beiden Gutachten sowie die Empfehlungen von Tanja Wolf und Thomas Großbölting bei.

Ein weiterer Aspekt war auch die Rückbesinnung auf die Stiftungsgründung Ende der 1970er Jahre. Anlässlich des 90. Geburtstages von Prof. Dr. Johannes Göderitz hatten sich seine ältesten Schüler und langjährigen Mitarbeiter (u.a. Dipl.-Ing. Ernst-Martin Winterstein, Architekt) entschlossen, eine Stiftung zur Förderung begabter Studierender auf dem Gebiet des Städtebaues und Wohnungswesens in Verbindung mit der Verleihung des Johannes-Göderitz-Preises zu gründen. Das Stiftungsvermögen erbrachten sie aus persönlichen Mitteln. Es ist beachtenswert, wenn ehemalige Studierende zur Ehrung ihres Professors eine Stiftung gründen.

Vorstand der Johannes-Göderitz-Stiftung im Oktober 2024

Die beiden Gutachten von Tanja Wolf (Kurz- und Langfassung) und von Prof. Dr. Großbölting können nachfolgend heruntergeladen werden.

Ordnung und Kontinuität? Johannes Göderitz (1888-1978), Architekt, Stadtbaurat, Honorarprofessor von Tanja Wolf
Gutachten von Tanja Wolf in der Kurzfassung
Gutachten von Tanja Wolf in der Langfassung

Johannes Göderitz (1888-1978) – Wie stand der Städteplaner, Architekt und Hochschullehrer zum Nationalsozialismus?
von Prof. Dr. Thomas Großbölting
Gutachten von Prof. Dr. Großbölting